Der saarländische Landesschülersprecher Lennart Elias-Seimetz möchte politische Partizipation von jungen Menschen im Saarland verbessern. Im Interview erklärt er, warum diese bisher häufig noch eine Scheinpartizipation ist und was in der nächsten Legislaturperiode konkret dagegen getan werden muss.
Herr Seimetz, in wenigen Wochen geht die Legislaturperiode der aktuellen Landesregierung zu Ende. Was hat diese Regierung in den letzten fünf Jahren im Bereich Mitbestimmung junger Menschen im Saarland versäumt?
Ich glaube, man hat es sich im Bereich der Schüler*innen-Vertretung während der Corona-Pandemie zu leicht gemacht. Wir haben sehr oft zu hören bekommen: Es ist alles so kurzfristig, wir können Euch nicht anhören. Auch haben wir gesehen, dass beispielsweise in Homburg ein Kinder- und Jugendparlament implementiert wurde. Das hört sich erst einmal sehr gut an, ist jedoch einfach absolut unpartizipativ gestaltet. Die Kinder und Jugendlichen kamen hin, haben eine Satzung vorgelegt bekommen und dann hieß es: Jetzt macht mal! So funktioniert das aber nicht. Ich glaube, vielen Menschen ist einfach noch nicht so ganz bewusst, was denn tatsächlich Partizipation von jungen Menschen bedeutet. Vor allem müssen wir wegkommen von der Scheinpartizipation. Dass man sagt: Wir haben ein Angebot für Euch, macht mal. Und danach wird es unter den Tisch fallen gelassen.
Gab es auch Positives?
Eines der wenigen Positivbeispiele in der vergangenen Legislaturperiode war die Novellierung des Schulmitbestimmungsgesetzes. Dabei hat man aber auch nur in der ersten Runde die Inhalte novelliert, worüber sowieso alle übereinstimmen. Deswegen bleibt jetzt mal abzuwarten, ob es in der neuen Legislaturperiode eine neue Novellierung gibt, wo dann tatsächlich auch mal kontroverse Themen diskutiert werden.
Wie bewerten Sie die aktuellen Möglichkeiten für saarländische Jugendliche, sich politisch zu beteiligen?
Ich würde sagen, die aktuellen Möglichkeiten sind sehr schlecht. Da mangelt es an verschiedenen Ecken und Enden. Es fängt an in der Schule, dass dort überhaupt nicht über die Rechte der Schüler*innen aufgeklärt wird. Darüber hinaus gibt man uns nicht die finanziellen Möglichkeiten, diese Aufklärung zu übernehmen. Es geht um das Thema Niederschwelligkeit und um den Informationsfluss. Theoretisch kann ja jede Schule ihre Landesdelegierten melden und von denen, die es dann machen wollen, bekomme ich dann immer 30 Anrufe, in denen nach dem Formular gefragt wird. Dann sage ich immer: Wir haben es doch schon vier Mal zugesendet. Und wenn sich junge Menschen engagieren, werden sie häufig auch mit einem großen Frust konfrontiert. Sie stellen sich dann die Frage, ob sie dann überhaupt mit ihrem Engagement weitermachen sollen.
Über die saarländische Landesschülervertretung werden hauptsächlich die Interessen der Schülerinnen und Schüler im Bereich Bildungspolitik artikuliert. Fehlt es dann nicht an der Repräsentation der Meinungen von Jugendlichen in anderen Bereichen der saarländischen Politik?
Ja, auf jeden Fall. Wir hatten ja schon länger die Diskussion über ein landesweites Jugendparlament.
Das ist aber so schnell nicht realisierbar. Ich hatte viele Gespräche mit Reinhold Jost zur Einrichtung eines Jugendbeirates für das Umweltministerium. Das Thema Umwelt ist für die jungen Menschen sehr wichtig und ich hoffe, dass es in der nächsten Legislaturperiode – ob mit oder ohne Reinhold Jost – , auch möglich sein wird, ein solches Jugendparlament zu etablieren.
Die CDU hat kürzlich vorgeschlagen, ein Landesjugendparlament einzurichten, in das Schülersprecher gewählt werden könnten. Jetzt gibt es aber schon auf Ebene der Landesschülervertretung die Landesdelegiertenkonferenz für saarländische Schülerinnen und Schüler. Wo liegt da der Unterschied zwischen dem Vorschlag der CDU und der Landesdelegiertenkonferenz?
Da gibt es keinen Unterschied. Und genau da liegt das Problem. Wir können nicht sagen, wir machen ein Kinder- und Jugendparlament nur mit Schüler*innen. Das Alter von Jugendlichen geht bis knapp 27 Jahre. Man muss allen jungen Menschen die Möglichkeit lassen, zu partizipieren – und nicht nur Schülersprecher*innen. Von daher muss man das Projekt von unten nach oben angehen. Wir brauchen Kinder- und Jugendparlamente in den Gemeinden. Dann auf Kreis- und dann auf Landesebene. Wir haben da ein Positivbeispiel aus Berlin, mit dem Kinder- und Jugendparlament Charlottenburg-Wilmersdorf zum Beispiel. Die zeigen, dass so ein Projekt funktionieren kann.
„Dass ein landesweites Kinder- und Jugendparlament in der nächsten Legislaturperiode wirklich umgesetzt werden kann, halte ich für unrealistisch.“
Wie müsste Ihrer Meinung nach ein saarländisches Kinder- und Jugendparlament auf Landesebene aussehen?
Im besten Falle sind alle Altersbereiche abgedeckt und es ist so niederschwellig, dass jeder seine Meinung einbringen kann. Eine andere Landesschülervertretung aus Deutschland zeigt bereits, dass das klappen kann. Dort sitzen sogar Grundschüler*innen im Parlament. Es wäre auch wichtig, dass das Parlament nach Landkreisen gut aufgeteilt ist. Auch muss der Zugang dorthin gesichert sein, durch eine finanzielle Grundlage mit Fahrtkostenerstattung etc. und einer Lage an einem zentralen Ort. Das Parlament muss auch eine Autonomie für Projekte haben und letztendlich auch intervenieren dürfen. Möglich wäre das beispielsweise über den Jugendcheck. Kümmert man sich um all das, kann das Projekt Kinder- und Jugendparlament auch gelingen.
Denken Sie, dass ein landesweites Kinder- und Jugendparlament in der kommenden Legislaturperiode realisierbar ist?
Wenn die Landesregierung in der Geschwindigkeit der vergangenen Legislaturperiode weiterarbeitet: nein. Zudem müssen auch wirklich die Gemeinderäte, die Kreistage, der Landtag und die Minister*innen an einem Strang ziehen. Letztendlich muss man aber auch eben schauen, dass sie nicht das ganze Parlament so umsetzen, wie sie sich das vorstellen. Sondern so umsetzen, wie sich das die jungen Menschen das vorstellen. Sonst wird das Parlament nicht angenommen. Dass ein landesweites Kinder- und Jugendparlament in der nächsten Legislaturperiode umgesetzt werden kann, halte ich für unrealistisch. Was ich für realistisch halten und auch begrüßen würde, ist, dass alle Ministerien Jugendbeiräte hätten. Das ist wesentlich niederschwelliger und einfacher machbar. Es gibt in jedem Ministerium Schnittstellen, die junge Menschen interessieren.
Das ist Lennart-Elias Seimetz:
Alter: 18 Jahre
Wohnort: Saarbrücken
Schüler am Wirtschaftswissenschaftlichen Gymnasium in Saarbrücken
Landesschülersprecher seit Mai 2020
Wenn Sie es sich wünschen könnten, welche weiteren Partizipationsmöglichkeiten sollte die Landesschülervertretung haben?
Es wäre schön, wenn wir weg von einer Anhörung und hin zu einer Veto-Teilnahme kommen könnten. Zumindest in den Dingen, die Schüler*innen unmittelbar betreffen. Dass wir regelmäßige Sitzungen mit dem Landtag im Plenum hätten, in denen wir mit den Abgeordneten breit über das Thema diskutieren können. Aktuell sind das ja mehr einzelne Gespräche mit den bildungspolitischen Sprecher*innen und mit der Bildungsministerin. Ich würde mich natürlich sehr freuen, wenn wir auch in allen Beiräten, die es so gibt, sitzen könnten. Ich würde allerdings klar unsere Rolle bei der Bildungspolitik sehen.
„Wahlen ab 16 werden nicht, wie andere prophezeien, ein Desaster. Schon gar nicht sind sich junge Leute nicht über ihre Pflicht bewusst“
Wie stehen Sie zur Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre auf landespolitischer Ebene?
Das finden wir sehr gut. Auch junge Menschen haben eine Meinung. Das sehen wir bereits in anderen Bundesländern, in denen Wahlen ab 16 auf Landesebene bereits möglich sind. Wahlen ab 16 werden nicht, wie andere prophezeien, ein Desaster. Schon gar nicht sind sich junge Leute nicht über ihre Pflicht bewusst. Ich höre ganz oft die Aussage: Aber die wissen noch gar nicht so genau, wie Wahlen ablaufen, die haben davon doch kaum Kenntnisse. Aber ich sag mal so: Keiner fängt mit 15 Jahren an, die StVO zu lernen. Einfach weil man weiß, dass man erst ab 18 Jahren allein Autofahren darf. So ist das bei Wahlen auch. Dementsprechend gibt es auch weniger Menschen, die sich schon mit 14 Jahren dafür interessieren. Wenn man das Wahlalter aber auf 16 Jahre runtersetzt, wird auch da das Interesse logischerweise steigen. Wir haben es gesehen, mit beispielsweise Fridays for Future, dass die Jugend ein sehr breites und diverses Bild und eine klare Meinung hat und die sollten sie auch kundtun können.
Welche drei Punkte muss die kommende Landesregierung umsetzen, um die Mitwirkungsrechte von saarländischen Kindern und Jugendlichen zu verbessern?
Das wäre auf jeden Fall die verpflichtende Aufklärung über die Rechte der Schüler*innen. Kleines Beispiel dafür: Bei den Seminaren, die wir an Schulen halten, hören wir ganz oft die Aussage: Das Seminar können wir gerne machen, aber bei uns hat eh keiner Lust darauf. Und dann halten wir das Seminar vor einer größeren Gruppe von Schülern und plötzlich hat jeder Lust darauf, weil sie einfach gar nicht wussten, dass sie überhaupt etwas verändern können.
Bei Veränderungen geht es natürlich auch stark auch um die finanzielle Unterstützung. Das ist logisch. Um da mal eine Einordnung zu geben, wie eine Landesschülervertretung finanziell ausgestattet ist: Die saarländische Landesschülervertretung hat einen Etat von 10 000 Euro im Jahr. Wir haben den kleinsten Etat in ganz Deutschland. Rheinland- Pfalz, mit denen wir uns im Saarland ja immer gerne vergleichen, hat einen Etat von 120 000 Euro pro Jahr. Im Mittel lägen wir im Bundesvergleich bei etwa 45 000 Euro. Wir haben unseren Etat durch externe Förderung, rein auf den Saarpfalz-Kreis beschränkt, verdreifacht. Wir als LSV könnten wesentlich mehr leisten, aber auch da braucht es eine bessere finanzielle Unterstützung. Letztendlich aber nicht nur von uns, sondern auch von anderen Strukturen, die bereits bestehen oder auch neu gegründet werden könnten, um Schüler*innen die Möglichkeit zur Partizipation zu geben. Nur so können alle ihrer Arbeit adäquat nachkommen und sie auch erweitern.
Und drittens?
Drittens wünsche ich mir eine Mischung aus: Partizipation jedem möglich zu machen und die Vertretung auch tatsächlich ernst zu nehmen. Das ist beides ganz wichtig. Wir brauchen eine wesentlich engere Zusammenarbeit mit den Politiker*innen und viel weniger Scheinpartizipation. Es braucht endlich mal Möglichkeiten und Rahmen der Partizipation, die auf junge Menschen zugeschnitten sind und sie auch ansprechen. Bisher geben das die aktuellen Strukturen leider meist noch nicht her.
Das Interview führte Paul Langer.
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Die Ausgabe \\wahlen zur Landtagswahl im Saarland 2022 wird gefördert von der Union Stiftung, Stiftung Demokratie Saarland, Villa Lessing & der Landeszentrale für politische Bildung Saarland.